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10.12.20 –
wenn alles gut geht, so Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, könnte die Welt nach der Corona-Krise eine bessere sein. Mit den richtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, allen voran dem Green Deal der Europäischen Union, ließen sich nicht nur die wirtschaftlichen Folgen der Krise überwinden, sondern auch ein entscheidender Schritt beim Klimaschutz auf europäischer und globaler Ebene getan werden. Lagarde warnt aber auch, dass die derzeitige Lage äußerst fragil ist, die zweite Welle der Infektionen in Europa alle Staaten vor große Herausforderungen stellt. Dabei steht Deutschland einigermaßen gut da im Vergleich, aber das kann kein Anlass zur Freude sein, denn die Gefahr, dass diese Krise die bereits bestehenden Ungleichgewichte in Europa weiter vergrößert ist sehr real.
Corona ist dabei kein Naturereignis, kein Akt Gottes wie es in der Versicherungswirtschaft heißt. Mit Corona ist nichts Unerwartetes über uns hereingebrochen. Inge Andersen, die Direktorin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen UNEP hat einen klaren Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem immer größer werdenden ökologischen Fußabdruck der Menschheit hergestellt. Das Zurückdrängen von Lebensräumen von Tieren und Pflanzen, der damit einhergehende Verlust an Biodiversität und die Folgen für die globale Erhitzung bilden ein „wicked problem“, wie die Sozialforschung es nennt: ein verhextes Problem, bei dem viele, teils widersprüchliche Teile ineinandergreifen und es ganz unterschiedliche Interesselagen verschiedenster Akteure gibt. Klar ist: die eine Lösung für solche Probleme kann es nicht geben, aber sehr wohl können wir auch auf der regionalen Ebene versuchen, verschiedene Lösungsansätze zu entwickeln.
Genau das tun wir als Regionalversammlung seit vielen Jahren und im letzten Haushalt haben wir dazu die Einrichtung einer AG Wirtschaft im Wandel beschlossen und der Wirtschaftsförderung einen klaren Auftrag gegeben, den Strategieprozess für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Region Stuttgart unter der Überschrift „Transformation in Richtung Nachhaltigkeit“ auszurichten.
Mit diesem Haushalt wollen wir Grünen, als älteste Klimaschutzpartei dieser Republik, weitere entscheidende Schritte gehen. Dabei ist uns gleich bei der Einbringung des Haushalts im September aufgefallen, dass das Wort „Klima“ nicht ein einziges Mal in der Rede der Regionaldirektorin vorkam. Der Entwurf schien uns wenig ambitioniert zu sein, zu unklar in seiner Richtung. Dies ist umso unverständlicher, als dass wir gerade im Südwesten Deutschlands vom Klimawandel in den kommenden Jahren und Jahrzehnten besonders stark betroffen sein werden. Anhaltende Dürreperioden belasten die Land- und Forstwirtschaft, Niedrigwasserstände stellen ein Problem für Energieversorgung und Binnenschifffahrt dar, eine Verdopplung der Hitzetage im Sommer bedeutet mehrere 10.000 Hitzetote zusätzlich – in jedem Jahr. Auf all das müssen wir im Verband, in der Regionalversammlung reagieren und der Haushalt ist dafür ein zentrales Instrument.
Ich bin jetzt am Ende der Haushaltsberatungen aber ein wenig positiver gestimmt. Der Haushalt wurde geschärft, er hat eine grünere Richtung bekommen, nicht nur aufgrund der Anträge unserer Fraktion, sondern auch aufgrund der vielen guten Anträge der Kolleg:innen aus den anderen Fraktionen. Wobei ich gleich einschränken will, dass es neben viel Licht auch ein paar Schatten aus grüner Sicht gibt.
Im Bereich Wirtschaft und Planung ist es uns gelungen den Einsatz von grünem Wasserstoff für den regionalen Busverkehr, vor allem unsere Expressbusse prüfen zu lassen. Der grüne Wasserstoff wird uns sicherlich noch weiter in den zukünftigen Diskussionen beschäftigen. Gleichzeitig konnten wir das Baustoffrecycling in der Region voranbringen und werden Akteure und Informationen zum Thema Baustoffe und Kreislaufwirtschaft vernetzen. Ein wichtiger Punkt für jeden wirtschaftlichen Strukturwandel in Richtung Nachhaltigkeit und mehr Klimaschutz, ist die Gewerbeflächenentwicklung. Hier werden wir proaktiv auf Kommunen im Falle von Flächenstilllegungen zugehen, um eine schnelle und sorgsame Wiederverwertung von Brachflächen sicherzustellen. Und schließlich haben wir mit diesem Haushalt auch die regionale Landwirtschaft im Blick, ein viel zu oft übersehener, essenzieller Wirtschaftszweig. Mit einer Studie wird der Verband aufzeigen, wie regionale Versorgung mit regionalen Lebensmitteln möglich ist, welche Potenziale eine regionale Landwirtschaft haben und wie ein regionales Ernährungssystem aussehen kann. Globale Herausforderungen bei Klima und Nachhaltigkeit regional herunter zu brechen, das sehen wir Grünen seit jeher als unsere Aufgabe an.
Es gibt aber auch Schatten im Bereich Wirtschaft und Planung, gerade wenn es um eine aktivere Rolle und Verantwortungsübernahme des Verbands beim Klimaschutz geht. Die Fortschreibung des bestehenden regionalen Klimaschutzkonzepts ist für uns völlig unverständlich bei der Abstimmung durchgefallen. Hier Maßnahmen zu aktualisieren und neu zu bewerten wäre in unseren Augen ein notwendiger Schritt gewesen. Auch die Weigerung der Einrichtung einer Stelle „Klimaschutzmanagement“ irritiert uns Grüne im Jahr 2020 doch sehr.
Wir wollen deswegen im neuen Jahr einen weiteren, leicht anderen Anlauf beim Klimaschutz im Verband versuchen. Ihnen liegt als Tischvorlage ein Antrag zur Einbringung und Verweis in einen der nächsten Wirtschaftsausschusssitzungen vor. Darin geht es um die Durchführung einer Klausursitzung der Interfraktionellen AG „Wirtschaft im Wandel“ in der ersten Jahreshälfte 2021. Ziel soll sein, innovative Handlungsmöglichkeiten aller regionalen Institutionen für gelingende Transformationsprozesse in den Bereichen Wirtschaft, Planung und Verkehr in Richtung Nachhaltigkeit, Klimaschutz und wirtschaftlichen Strukturwandel zu erarbeiten – gemeinsam mit der WRS. Dabei soll auch eine Regionalversammlung zu diesem Thema vor der Sommerpause 2021 vorbereitet werden. Ich weiß, dass die WRS sich sehr konkrete Gedanken zu einem Transformationskongress im neuen Jahr macht, beide Prozesse können wie ich meine gut und sinnvoll verknüpft werden. Ich bitte jetzt schon die anderen Fraktionen dafür um Zustimmung, wenn der Antrag im WiV diskutiert wird. Nur wenn wir den anstehenden Strukturwandel nutzen, um die Region in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit auszurichten, kann sich die Hoffnung von Christine Lagarde, auf die ich eingangs verwiesen habe, auch erfüllen.
Im Bereich Verkehr, der zentralen Aufgabe des Verbands, konnten wir auf den Erfolgen des letzten Haushalts aufbauen. Allen voran möchte ich hier das Erfolgsprogramm der Förderung des RegioRad nennen, welches wir Grünen letztes Jahr auf den Weg gebracht haben. Dieses ist ein Hit geworden in der Region und wir verdoppeln mit diesem Haushalt nun die Mittel. Dass auch die CDU/ÖDP hier ihr Herz für das RegioRad entdeckt haben und einen ähnlichen Antrag einbrachten, begrüßen wir sehr und hoffen auf weitere gute Zusammenarbeit beim RegioRad. Besonders freut es uns Grüne, dass der Landkreis Göppingen nun im VVS ist und gleich zu Beginn im besonderen Fokus der Ausbauüberlegungen des regionalen Expressbusnetzes steht. Diese Überlegungen sollen sich nämlich insbesondere auf den Kreis Göppingen und dessen Vernetzung mit anderen Landkreisen durch regionale Expressbusse konzentrieren. Eine mögliche Verbindung, von Göppingen über Bad Boll nach Kirchheim/Teck, wird dabei bevorzugt untersucht. Auch auf der Schiene wird sich etwas tun, es werden Gespräche mit dem Landkreis Ludwigsburg zur Verlängerung der Strohgäubahn geführt. Gerade in Verbindung mit der Reaktivierungsstudie des Landesverkehrsministers Hermann sind wir Grünen fest davon überzeugt, dass hier mittelfristig eine gute Option für mehr Schienenverkehre gefunden werden kann. Zum Schluss waren wir noch erfolgreich mit den Anträgen zum VVS-Tarifsymposium im Frühjahr 2021. Dort wollen wir die Ausweitung des Kurzstreckentickets prüfen lassen sowie ein neues Angebot für Teilzeitnutzung und im Home-Office Arbeitende schaffen, insbesondere als Best-Price-Angebot.
Der Schatten beim Verkehr ist auch klar, es ist derselbe Schatten, der bereits im letzten Jahr darüber lag: die Tariferhöhung im VVS. Es ist jedes Jahr dasselbe Spiel, nur einmal unterbrochen durch die Tarifreform 2019: die Verkehrsunternehmen, allen voran die SSB, beschließen eine Tariferhöhung, die demokratischen Gremien in Region, Kreisen und Landeshauptstadt können dann nur noch über die Struktur der Erhöhung abstimmen. Dieses Verfahren gehört nach Grüner Auffassung grundlegend geändert: nach der Meldung der Kostensteigerungen der Verkehrsunternehmen im Juli müssen zunächst alle demokratischen Gremien (die Regionalversammlung, die Kreistage sowie der Gemeinderat der Landeshauptstadt) beraten und Empfehlungen aussprechen. Dies gibt dem Verfahren den nötigen Raum, um auf Kompromisse zu kommen, Erhöhungen niedriger ausfallen zu lassen oder in besonderen Jahren, z.B. wenn wir es mit einer Wirtschaftskrise zu tun haben wie dieses Mal, auch auf eine Erhöhung zu verzichten. Am Ende dieser Beratungen kann dann der VVS-Aufsichtsrat der Gesellschafterversammlung einen Beschluss vorschlagen, der vorher breit und ausführlich diskutiert wurde. Die Scheu mancher Beteiligter hier vor so einer öffentlichen und politischen Debatte können wir Grüne nicht nachvollziehen. Auch eine Erhöhung kann gut argumentiert werden; bisher wurde sie das nicht und ein Verweis auf Kosten alleine ist zu kurz gesprungen.
Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wir insgesamt aus dieser Frontstellung bei Tariferhöhungen rauskommen müssen. Bislang ist es doch so: um die Kostensteigerungen bei den Verkehrsunternehmen auszugleichen, können wir entweder den Fahrgästen in die Tasche greifen oder den Kommunen und Kreisen. Das geht so nicht weiter. Wir brauchen neue Finanzierungsinstrumente im ÖPVN und wir Grünen wollen deswegen eine Nahverkehrsabgabe ermöglichen. So soll es auch im grünen Landtagswahlprogramm für nächstes Jahr stehen. Wenn diese Möglichkeit gegeben ist und so ausgestaltet wird, dass der Verband Region Stuttgart diese Abgabe auf seinem Gebiet erheben kann, wären zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: (1) wir überwinden die Debatte um Fahrgäste vs. kommunale Haushalte und (2) wir ermöglichen dem Verband, ein eigenständiges Finanzierungsinstrument jenseits der Umlagefinanzierung. Diesen Weg wollen wir Grünen gehen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Der Haushalt 2021 ist durch die Beratungen und Anträge der Fraktionen klarer geworden, er hat eine Richtung bekommen, der wir Grünen insgesamt zustimmen können. Er hat aber weiterhin viel Potenzial nach oben und deswegen wollen wir im nächsten Jahr frühzeitig zusammen mit den anderen Fraktionen hart debattieren, um zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu kommen – siehe der heute eingebrachte Antrag. Dabei ist uns klar, dass dies am Ende nicht konfrontativ geht, sondern immer nur gemeinschaftlich und kollegial. Dies ist der Geist dieser Regionalversammlung seit über 25 Jahren und so soll es auch weiter sein.
Zum Ende wünsche ich Ihnen und uns allen frohe Weinachten, ein wenig Zeit zur Besinnung nach einem verrückten, verhexten 2020 und dass wir uns alle gesund und tatendurstig im neuen Jahr wiedersehen.
Vielen Dank!
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